Friday, October 5, 2007

Eingefleischte Vegetarier

01. Oktober 2007

Die e-Mail einer Freundin informiert mich, dass Welt-Vegetariertag ist. Ein Link verweist auf die Website der Schweizerischen Vereinigung für Vegetarismus. Appetitanregend wirkt auf mich die Querverbindung zum Klimaschutz. Die hinterlegte Internetseite präsentiert Statements zu den klimatischen Auswirkungen des Fleischkonsums:

“Gemäss dem neuen Bericht der Ernährungs- und Agrarorganisation der Vereinten Nationen (FAO) erzeugt der Nutztiersektor mehr Treibhausgase, gemessen in CO2-Equivalente – 18 Prozent – als das Transportwesen. Er ist ebenfalls eine grosse Quelle für Bodenerosion und Wasserverschmutzung.”

Pete Hodgson, der Neuseeländische Minister für Energie, Wissenschaft und Fischerei wird zitiert:
“Eine Tonne Methan, das wichtigste Treibhausgas in der Landwirtschaft, hat denselben Effekt auf die globale Klimaerwärmung wie 23 Tonnen Kohlendioxid (CO2). Eine Milchkuh produziert jährlich 75 kg Methan, was über 1,5 Tonnen Kohlendioxid entspricht. Natürlich verhält sich die Kuh dabei ganz natürlich. Aber es scheint so, dass die Menschen dabei vergessen, dass die Landwirtschaft ein Industriezweig ist. Wir ebnen das Land, säen Weideland, züchten Nutztiere und so weiter. Es ist ein von Menschen gemachtes Geschäft, nicht etwas natürliches. Darin sind wir sehr gut, deshalb stieg die Methangasemission um 150 Prozent in den vergangenen 250 Jahren, während die Kohlendioxidkonzentration nur um 30 Prozent angestiegen ist.”

Und laut New Scientist vom 18. Juni 2007 ist
“Ein Kilogramm Rindfleisch [...]ist verantwortlich für mehr Treibhausgasemmissionen und andere Schadstoffe als eine 3-stündige Autofahrt während man alle Lichter zu Hause brennen lässt.”

Die Vegetarier stellen die Frage, warum diese Fakten in der internationalen Klimadebatte ignoriert werden.

Nun ist Indien, mein momentaner Aufenthaltsort, ein Land, in dem Kühe als heilig gelten. Die Liebe zum Paarhufer geht hier soweit, dass vor einigen Jahren die Indische Regierung sogar ein totales Verbot der Kuh-Schlachtung einführen wollte. (siehe Artikel in BBC South Asia). Am Mittag treffe ich Sujan Chatterjee, einen renommierten Vogelkundler aus Kalkutta. Als unser Small-Talk auf das Thema Welt-Vegetariertag kommt, fängt Sujan an zu schmunzeln. Seiner Meinung nach sei das Gebot kein Rindfleisch zu essen ein Disaster, weil herumstreunende Rinder maßgeblich zur Schädigung von Waldgebieten beitrügen. Er erzählt eine Anekdote, die sich während eines Treffens mit einem hohen Schutzgebiets-Offizier zugetragen hat. Sujan: “Sir, I suppose there must be more than 1 lakh (d.h. 100.000) cows living in the Tiger Reserve.” Der Offizier erwidert ironisch: ”Excuse me, Sir, but unfortunately I have to correct you. It must be more than 2 lakhs.”

Diese Zahl ist übertrieben, dennoch kann Indien eindrucksvolle Zahlen bzgl. der Hörnertiere vorwiesen. Im Jahr 2003 beherbergte das Land 185,2 Millionen Kühe, hinzu kamen 97,9 Millionen Büffel (siehe National Dairy Development Board) Die Statistik lässt offen, ob diese Zahlen nur die Nutztiere oder auch freilaufende Wiederkäuer beinhalten – andere Schätzungen gehen von bis zu 400 Millionen Tieren aus. Bei einer Gesamtbevölkerung von über 1 Milliarde Menschen ist es verständlich, dass Indien viele Kühe als Milchlieferanten und Büffel als Arbeitstiere benötigt. Eine Quote von fünf Menschen auf eine Kuh ist aber bedenklich. Ebenso ein “Aussetzen” der Tiere, sobald sie unproduktiv geworden sind – ob aus religiösen Gründen, oder bedingt durch ein Schlachtverbot.
Die Landesfläche Indiens ist zu über 23 Prozent bewaldet. Das Drama sind laut Sujan die herumstreunenden Tiere, die auch vor den derzeit 597 Schutzgebieten nicht halt machen. Eine Studie (siehe Biodiversity Conservation through Ecodevelopment) verdeutlicht die Situation im Palamau Tiger Reserve im Bundesstaat Jharkhand: In der Pufferzone des Parks weiden 43.000 Kühe, 677 weitere in der Kernzone.

Der Sachverhalt ist komplex. In einigen (Schutz-)Gebieten wie dem Keoladeo Ghana National Park in Bharatpur, Rajasthan oder den Bergwiesen in einigen Teilen des Himalaya tragen die Nutztiere zum Erhalt der Landschaft bei. In anderen Regionen steht die Artenvielfalt – darunter auch einige “Flagship species” – durch die herumstreunenden Haustiere unter großem Druck.
Die Pastoralwirtschaft ist in manchen Gebieten und Gesellschaftsgruppen die traditionelle Einkommensquelle, sodass auch soziale und wirtschaftliche Hintergründe berücksichtigt werden müssen. Eine Generalisierung der Thematik ist folglich problematisch. “Wichtig ist vielmehr ein lokalspezifischer Ansatz”, so die Forderung des Chefredakteurs des indischen Magazins “Protected Area Update”, Pankaj Sekhsaria.
Für Palamau schlägt die Studie ein kontrolliertes Weiden innerhalb des Park, jedoch außerhalb der Kernzone vor. Zudem sei die Verbreitung alternativer Futterquellen und die Schaffung von Alternativeinkommen anzuraten. Wie aber schafft man Alternativeinkommen in der Umgebung von Schutzgebieten? Vielleicht bietet Tourismus hier eine Möglichkeit.

Ich bin vorerst ratlos, ob ich die ausgezeichnete vegetarische Küche Indiens unterstützen werde, oder wann immer möglich Rindfleisch konsumiere. Eines ist aber klar – ob man nun die indischen
Avantgarde-Forderung "Esst mehr Fleisch" oder den westlich-europäischen Ansatz "Esst weniger Fleisch" verfolgt: Der methanfreisetzende Viehbestand muss weniger werden!

1 comment:

Marcus said...

Komplexes Thema: "Don’t just blame the Cows" sagt ein neues Paper
http://r4dconsult.wordpress.com/2009/10/06/don%E2%80%99t-just-blame-the-cow%E2%80%99s/